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Life on the Road / 23.07.2020

LIFE ON THE ROAD – Paradies in trüben Zeiten

Verrückte Tage

Dieser Frühling war mit Sicherheit einer der verrücktesten, die ich je erlebt habe … Als ich im Februar einen Blogbeitrag über meinen ersten längeren Trip auf den Kontinent schrieb – natürlich mit der Aussicht auf viele weitere in diesem Jahr – hätte ich mir niemals träumen lassen, dass all das schon bald für eine geraume Zeit für mich nicht mehr möglich sein würde. Viele Menschen sind in England an Covid gestorben und als die Regierung den Lockdown verhängte, waren sowohl das Angeln als auch das Reisen ganze drei Monate vom Tisch, denn beides war verboten. Lediglich eine Stunde Bewegung an der frischen Luft war täglich erlaubt, sonst nichts.  Ich hatte im März, April, Mai und Juni längere Sessions in Europa im Kalender und mein ganzes Jahr, meinen ganzen Arbeitsplan um die produktivsten Zeiten herum geplant. Das Reisen vom Vereinigten Königreich auf den Kontinent ist teuer, zeitraubend und ermüdend, diese regelmäßigen und langen Trips zu planen ist wirklich schwierig für mich. Alles andere muss in diesem Fall sorgfältig außen herum gelegt werden um sicherzustellen, dass ich genügend Geld und Zeit habe um sie durchzuführen. Dieses Jahr war ich viele Verpflichtungen eingegangen um so viele wie irgend möglich unterzubringen. Jahrelang hatte mein Job als Lehrer für finanzielle Sicherheit gesorgt, da ich aber mittlerweile vom Angeln allein lebe, liegen die Dinge etwas anders. Sicher denken jetzt viele, dass das Leben als hauptberuflicher Angler großartig ist und gewiss gibt es die Tage, an denen es der beste Job der Welt ist. Allerdings hat mir der Lockdown gezeigt, dass ein Leben ohne Gehaltsgarantie und mit freiberuflicher Arbeit auch eine echt fragile Art des Lebensunterhaltes ist.

Ein Leben im Lockdown

Ich bin unendlich dankbar dafür, dass wir in einer schönen Ecke der UK leben und dafür, dass ich ein Mensch bin, der mit den einfachen Dingen des Lebens glücklich und zufrieden ist; der Lockdown war also nicht allzu schlimm für mich. Insgesamt muss gesagt werden, dass die Karpfenangelei nicht gerade die gesündeste Art des Angelns darstellt und zum Ende des vergangenen Jahres hin zeigte mein Körper die Folgen der vielen Fahrerei, des Kaffees und Schlafmangels. Schon immer konnte ich mich für andere Dinge begeistern und Surfen, Skaten und Rennradfahren waren immer Beschäftigungen gewesen, bei welchen ich mich mit der Umwelt und Landschaft verbunden fühlen und ein freies Leben draußen genießen konnte. So verbrachte ich die drei Monate des Lockdown mit Rennradfahren – wobei ich in meiner täglichen Stunde jeweils zwischen 25 und 30 Kilometer fuhr – und Yoga. Nicht gerade die übliche Routine für einen Karpfenangler, aber meiner Meinung nach sind körperliche Fitness und Stärke, auch die mentale, ein Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Ich glaube sogar, dass ich besser angle, wenn ich körperlich stark bin und es gibt nichts Schlimmeres für mich, als das schwerfällige und beschissene Gefühl, das ich von schlechtem Essen und dem ständigen Sitzen an nur einem Spot bekomme. Vermutlich ist das einer der Gründe dafür, warum ich die körperliche Seite der Angelei an großen Gewässern so mag. Boote herumtragen, große und schwere Batterien, Unmengen von Futter schleppen … all das unterscheidet sich drastisch von der Angelei an einem penibelst angelegten Platz an einer Kiesgrube im Vereinigten Königreich, aber ich liebe es. So fühle ich mich lebendig. Wenn du dich gut fühlst, denkst du schneller, bist auf Zack. Du stehst früher auf und die Chance, dass du auch mal deine Stelle wechselst ist höher. So komisch es also klingen mag: Ich denke, fit und gesund zu bleiben trägt positiv zu deinem Fortschritt im Karpfenangeln bei.

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Wenn man nirgends hin kann …

Eine Sache, die ich sehr schnell erkannte, sobald die Grenzen geschlossen und der Lockdown verhängt waren: Meine Angelei würde sich im Jahr 2020 drastisch ändern. Als ich vor einigen Jahren damit begonnen hatte immer mehr auf dem Kontinent zu fischen, hatte ich all meine teuren Syndikatsgewässer in der UK aufgegeben, schließlich benötigte ich sie nicht mehr. Das war unter normalen Umständen überhaupt kein Problem, aber dieses Jahr führte es quasi dazu, dass ich nirgendwo fischen konnte. Im Gegensatz zu großen Teilen der EU, wo Gewässer meist öffentlich oder frei zugänglich sind, gibt es im Vereinigten Königreich nur wenige öffentliche Seen oder Flüsse. Die frei zugänglichen Tageskartengewässer sind unglaublich überlaufen und man zahlt meist 30 Britische Pfund pro Nacht, nur um eng auf eng zwischen den anderen zu fischen. Nachdem ich den Geschmack der Freiheit an kontinentaleuropäischen Gewässern gekostet hatte, konnte ich einfach nicht mehr zu dieser Art der Angelei zurückkehren. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich würde meine Erfüllung lieber darin suchen, auf meinem Rad Kilometer zu fressen oder in den Ozean zu springen, statt diese Art des Angeldrucks noch einmal mitzumachen.  Angeln nahm schon immer einen großen Teil meines Lebens ein, aber wenn es derart stressig wird, dann sehe ich für mich persönlich keine Freude mehr darin und man fischt nur noch gegen die Anderen, statt die Karpfen zu überlisten.

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Krasse Gegensätze

Während der Zeit des Lockdowns hatte ich viel Zeit nachzudenken. Mir wurde klar, wie sehr ich die Freiheit und den Platz bei meiner Angelei auf dem Kontinent wertschätze. Falls ihr den Film „Matrix“ kennt: So ungefähr fühlte es sich für mich an. Ich hätte mit der blauen Pille weitermachen können und in froher Ignoranz an den überlaufenen Gewässern der UK weitergeangelt. Oder ich hätte die rote Pille genommen und durch unglaubliche Karpfen, Landschaften und die Freiheit dieser Art der Angelei wieder gespürt, was Karpfenangeln wirklich ausmacht. Keine Streitereien um Angelplätze, kein Stress auf dem Weg zum See um den anderen zuvorzukommen, kein Angeln über altem Futter auf Rig-scheue und paranoide Fische. Nein, stattdessen die Jagd auf Karpfen, die kaum jemals Angler zu Gesicht bekommen, namenlose Karpfen mit perfekten Mäulern. Karpfenangeln bedeutet für jeden etwas anderes und ich denke, das macht auch den Reiz aus. Viele meiner guten Freunde stellen den hiesigen Großfischen nach, in meinem Kopf hat jedoch ein Wandel stattgefunden, irgendetwas hat den Schalter umgelegt. Natürlich liegt es auf der Hand, dass das jahrelange Angeln in den immer gleichen Szenarien und derselben Gegend irgendwann vorhersagbar wird. Reisen bringen hier wieder neue Spannung ins Spiel und genau deshalb war dieses Jahr bisher so schwierig für mich.

Der kleine See

Während der ersten drei Monate hatten wir also keinerlei Möglichkeit, irgendwo hin zu gehen, denn die Regierung hatte – wie schon erwähnt – sowohl Reisen als auch Angeln verboten. Seit nun aber die ersten Lockerungen in Kraft getreten sind, hatte ich das Glück, an einer alten und vergessenen Ziegelgrube zu fischen und genau das stellte für mich die perfekte Zuflucht dar. Ich bin mir sicher, dass, wenn Briten an das europäische Festland denken, sie zuerst große Fische vor Augen haben. Wenn ich aber ganz ehrlich bin, dann gehe ich gar nicht wegen der großen Fische dorthin, sondern des Platzes und des Abenteuers wegen, denn genau diese beiden Punkte sind in der UK mittlerweile immer schwerer zu finden.  Die kleine Ziegelgrube hat einen winzigen Bestand, gerade einmal neun oder zehn Karpfen. Davon sind zwei alte Spiegelkarpfen, zwei oder drei alte Schupper, von denen nur einer ein möglicher Vierzigpfünder ist. Dazu kommen noch ein paar Satzkarpfen aus Dinton, von denen einige noch nie gefangen wurden. Der alte und große Schupper wurde seit acht Jahren nicht gefangen und auch seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen. In Wahrheit angelte ich also auf ein paar Dreißigpfünder. Aber es sind nur wenige Karpfen, schwer fangbar und sie leben in einem unglaublichen und merkwürdigen alten See. Ihre Größe spielte keine Rolle, denn es waren einige der faszinierendsten Fische, auf die ich je gefischt habe und sie haben mir zweifelsfrei bewiesen, dass ich es nicht mehr auf Gewicht oder Menge des Fangs anlege. Die Grube kostete mich vier Stunden Rundfahrt, war also alles andere als nahe bei meinem Zuhause. Und trotzdem war es eine der spannendsten Angelerlebnisse, die ich in den vergangenen Jahren im Vereinigten Königreich hatte.

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Tief und Klar

Bei dem See handelt es sich um eine alte und kristallklare Ziegelgrube, die an manchen Stellen bis zu 70 Fuß tief ist. Da sie dabei aber nur drei Acres groß ist, handelt es sich mehr oder weniger nur um ein richtig tiefes Loch. Die Uferkanten fallen am überwiegenden Teil des Sees innerhalb einer Rutenlänge auf 30 bis 40 Fuß Tiefe ab. Da ich ein Boot benutzen durfte, fand ich innerhalb weniger Stunden an einem klaren Tag mit dem Aquascope heraus, dass es wahrscheinlich nur maximal sechs Spots gibt, die die Angelei lohnen – und allesamt lagen sie hübsch versteckt in den Hindernissen entlang des Ufers. Einige der abfallenden Kanten waren schlicht und ergreifend zu steil um dort ein Rig zu präsentieren. Selbst flache 6-Unzen-Bleie hielten nicht. So musste ich kleine und flache Areale finden, sowie Bereiche die nicht komplett mit Stücken von Ziegeln, bzw. großen Steinen bedeckt waren, denn dies sorgte für eine schlechte Köderpräsentation. Beim ersten Ansitz kam ich spätabends an und hatte bereits binnen einer Stunde vom Boot aus sowohl einen der Schuppenkarpfen, als auch einen der Spiegler im schwindenden Tageslicht gesehen. Ich legte im Schein meiner Kopflampe meine Ruten an den Fuß eines mit Kraut bewachsenen Hindernisses und hatte innerhalb von nur wenigen Stunden drei Brassen gefangen. Diese entpuppten sich als ein regelrechter Alptraum, vor allem, weil es unglaublich kompliziert war, die Ruten nach Einbruch der Dunkelheit wieder auf die winzigen Spots zu legen. Bevor ich die Heimreise antrat, erkundete ich noch den gesamten See mit einem Klopfblei und meinem Aquascope, bevor ich ein paar Bereiche kräftig unter Futter setzte.

Ich habe das Paradies gefunden

Obwohl der See weder ein großer und wilder französischer Stausee, noch eine klare norddeutsche Kiesgrube, noch ein verkrauteter belgischer Kanal war: für einige Wochen war er mein kleines Paradies. Keine anderen Angler, kein Stress und eine erholsame Zuflucht. Die Grube verströmt eine merkwürdige Atmosphäre, oft hängt der Nebel zäh in dem kleinen Tal und er ist umstanden von urigen, alten und großen Bäumen. Das besondere Licht und die Tiefe des Wassers machen in auf wundersame Weise erholsam. Über die Jahre hinweg haben mehrere Menschen beim Schwimmen dort ihr Leben verloren, was zu der gespenstischen Stimmung beiträgt. Auch der Einsatz des Bootes war faszinierend, ist dies doch an den meisten Gewässern der UK verboten. Hier konnte ich tun und lassen was ich wollte und so verbrachte ich viel Zeit damit, vom Boot aus zu beobachten und die Spots zu überprüfen. Regelmäßig fand ich bei meiner morgendlichen Kontrolle die Stelle komplett blankgefressen, mit einem zur Seite gearbeiteten Rig. Das Wasser war so klar, dass ich selbst bei 14 Fuß Tiefe die Rigs von Hand ablassen und auf einem Spot von der Größe eines handelsüblichen Eimerdeckels präzise zwischen die Ziegel ablegen konnte und dabei auch noch genau sah, wie der Haken ausgerichtet war. Schnell fand ich das „Zuhause“ der Fische, eine dicht verwucherte und hindernisträchtige Ecke über sehr tiefem Wasser, wo sie sich tagsüber gerne versteckten und die Frühlingssonne genossen.

Katz und Maus

Nachdem ich mich nächtelang mit den Brassen herumgeärgert hatte, wurde mir klar, dass sie selbst mit großen Tigernüssen und großen Hakenködern ein Problem darstellen würden. Das erneute Positionieren der Rigs bei Nacht war mithilfe einer abgesenkten Taucherlampe und meinem Aquascope manchmal möglich, wenn die Brassen gefressen hatten. Wenn sie durch ihre Fressaktion allerdings das Wasser eingetrübt hatten, war es schwierig – und die Spots waren winzig, ich musste also präzise vorgehen. Der See untersteht nur sehr geringem Angeldruck, es kam mir also in den Sinn, dass die Zeit, die ich beim Versuch, Rigs erneut in Position zu bringen, im Boot verbrachte, an einem derart „ruhigen“ und kleinen See, an dem die Fische derart an ihre Umwelt angepasst sind, nicht wirklich in die Karten spielte. Letztendlich fand ich heraus, dass ein 5 Unzen großes, flaches Inlineblei mit einem Haken der Größe 4 am nur 3 – 4 Inch langen geflochtenen Vorfach und einem 20mm Hakenköder die beste Wahl waren. Auf diese Weise bekam ich innerhalb weniger Trips vier Bisse, die unter anderem den größeren der urigen Spiegler und einen nie zuvor gefangenen Satzer hervorbrachten. Leider kann ich keine Fotos der Fische veröffentlichen, aber stellt euch einen regelrecht schwarzen, beschuppten und perfekten Fisch vor, dann seid ihr nahe dran. Einen weiteren Karpfen verlor ich aufgrund eines Schnurbruchs – die Unmengen an großen Muscheln wollten mir diesen speziellen Fisch einfach nicht gönnen.

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Geister

Ich habe den großen Schuppi nie gesehen. Ob er noch da ist? Wer weiß das schon. Alle anderen habe ich regelmäßig gesehen. Wie auch immer, dieser See war meine Rettung für mehrere Wochen und eine perfekte Erinnerung an das, was mir beim Angeln so wichtig ist: weder Größe noch Gewichte, sondern das Abenteuer.

Viel Erfolg und bis nächsten Monat!

Gaz

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