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+ Stories / 02.06.2020

Von Glück und Unglück #4 - das Carplifer-Pärchen auf einem Roadtrip

Schon vieles habe ich erlebt, schon so manche Niederlage eingesteckt. Doch gleich zwei sehr große Karpfen in Folge auf die gleiche Art direkt vorm Kescher zu verlieren, das war neu. Und es tat irre weh! Doch lest selbst, was sich in den letzten Tagen unseres Trips noch zutragen sollte und welche Überraschung die letzte Nacht bereit hielt. Sowas erlebst du nur auf einer Abenteuertour!

Die Schattenseite des Augustes

Das Karpfenangeln in Frankreich im August kann aufgrund mehrerer Ursachen manchmal eine regelrechte Lotterie sein.

1. Im August herrschen in ganz Frankreich Ferien. Das macht die Ufer deutlich belebter mit Anglern, Seglern, Kanuten und Touristen gleichermaßen. 

2. Die Temperaturen können extreme und unerträgliche Ausmaße erreichen. 

Als wir am nächsten Gewässer ankamen, trafen wir alle der unter Punkt 1 Genannten in großer Zahl an: Segelboote, Kanuten und viele, richtig viele andere Angler! Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, den See zu unserer Zufriedenheit zu beangeln, ohne nebenbei diverse Dramen zu erleben. Mit dem Smartphone in der Hand durchsuchte ich alsbald Google Maps und fand heraus, dass es direkt hinter diesem See einen zweiten Stausee gab. Kurzerhand brachen wir zu diesem auf und vor Ort stellte dieser sich zwar als sehr flach heraus, aber aufgrund der deutlich niedrigeren Zahl anderer Angler sollte er unser Zuhause für die kommenden Nächte werden. Ich startete die Drohne, um das Gewässer aus der Vogelperspektive zu erkunden, konnte aber aufgrund der hohen Wassertrübung keine Karpfen ausmachen. Alles was ich sah, war ein besonders trübes Areal vor einer Landzunge, das in meinen Augen nur von aktiven Fischen in diesen Zustand versetzt werden hatte können. Das nächste Problem war nun der Zugang zum Wasser, denn der nächste Weg war gute 200 Meter von dem zuvor anvisierten Areal entfernt. So fuhren wir also ein wenig herum, um einen direkteren Zugang zu finden. Bei einer Slipstelle am Ende eines Seitenarms wurden wir fündig und von hier aus hatten wir die Möglichkeit, über die ausgetrocknete und holprige Uferpartie hinweg die eineinhalb Kilometer zu dem Platz zu fahren, an dem die Fische den Untergrund so aufgewühlt hatten. 

Der See besaß in all seiner Rauheit auch eine gewisse Schönheit mit den toten, trockenen Bäumen und den Wildblumen, die auf den von der Sonne ausgetrockneten Lehmflecken wuchsen, die durch den tiefen Wasserstand zum Vorschein gekommen waren. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt zwar, dass das Wasser sehr niedrig stand, auf diese Ausmaße hingegen waren wir nicht vorbereitet gewesen. Vor uns betrug die Tiefe gerade einmal 80 Zentimeter und nur langsam fiel der Grund auf etwa 1.50 Meter zu unserer Linken ab. Wir streuten die Ruten so, dass wir alle Tiefen abdeckten und um ehrlich zu sein hatte ich nur Vertrauen in die Ruten, die in mehr als einem Meter lagen. 

Als die Sonne nach einem gefühlt endlosen Tag langsam unterging, machten wir uns ans Abendessen und genossen die wundervollen Farben über dem See, als das trübe Licht langsam in Dunkelheit überging. Sollten wir hier keine Karpfen fangen, so hatten wir zumindest diese schöne Erinnerung vorzuweisen. 

Auf Schatten folgt Licht

Um 0.30 Uhr wurde ich von einer kurzen Abfolge einzelner Töne meines Bissanzeigers geweckt. Ich stieg aus meinem Schlafsack, um mir das ganze etwas näher anzuschauen, als ich bemerkte, dass es sich um einen Fallbiss handelte. Ich straffte die Schnur, diese gab jedoch weiter nach. Also nahm ich die Rute auf und begann damit, die Montage aus 150 Metern Entfernung einzukurbeln. Ich spürte keinerlei Gegenwehr und war mir sicher, dass die ganze Aktion umsonst gewesen war. Dann aber, gerade als die Montage noch 20 Meter vom Ufer entfernt war, beugte die Rute sich aggressiv nach vorne. Ein großer Schwall war an der Oberfläche zu sehen und zeitgleich kreischte meine Bremse los. Ein Karpfen. Und noch dazu kein kleiner. 

Der Fisch war die ganze Zeit auf mich zu geschwommen und hatte genau in diesem Moment einen Richtungswechsel beschlossen. In irrwitzigem Tempo riss er mir Schnur von der Rolle  und so sehr ich mir auch wünschte ins Boot zu springen, um ihm hinterher zu fahren, die anderen Schnüre waren zu nahe und eine solche Aktion hätte mit mindestens einer Verhedderung geendet. Ich drillte ihn also weiter vom Ufer und sobald er meine rechte Rute im Flachwasser eingesammelt hatte, musste ich schnell die Bremse derselben lösen, damit er sich nicht durch den Druck ausschlitzen konnte. So ging der Drill weiter: im Flachwasser und inklusive der Schnur meiner anderen Rute. Irgendwann musste er sich dann aber doch geschlagen geben und ein hochrückiger und breiter Schupper von Mitte bis Ende 40 Pfund lag an der Oberfläche, bereit für den Kescher. In dem Moment aber, in dem sein Kopf die Kordel des Kescherrands berührte, beschloss der Gigant, nochmals eine kraftvolle Flucht hinzulegen. Ich bremste die Spule mit meinem Fingerrand ab und plötzlich war die Schnur schlaff. 

Hier stand ich nun, mitten im schlammigen Ufer, ohne Fisch. Verzweifelt versuchte ich zu begreifen, was hier gerade passiert war. Natürlich hatte ich es schon mehrmals erlebt, dass Fische auf mich zu geschwommen waren, aber den ganzen Weg bis vor das eigene Ufer ohne ein bisschen Gegenwehr zu zeigen: Das war neu. 

Es half alles nichts, ich wollte keine Zeit mehr mit dem „hätte“ und „sollte“ verschwenden. Also brachte ich ein neues Rig an, fuhr erneut auf den Spot und fütterte mäßig nach – in der Hoffnung auf einen weiteren raschen Biss. Und tatsächlich: Nur eine halbe Stunde später kam er, in Form eines weiteren Fallbisses. Dieses Mal nahm ich die Rute sofort auf, kurbelte, was das Zeug hielt und ging dabei noch ein paar Meter rückwärts, solange, bis ich Kontakt zu meinem Gegenüber hatte. Sobald dieser Punkt erreicht war, sprang ich umgehend ins Boot, um im Freiwasser – außerhalb der Gefahr durch andere Schnüre – den Drill zu Ende zu bringen, ohne dabei ein weiteres Desaster heraufzubeschwören. Nach kurzem und intensivem Drill lag schon wenig später ein hochrückiger Schuppenkarpfen im Kescher, nicht von solchen Ausmaßen wie der vorige, aber immerhin ein ansehnlicher Fisch von Anfang 30 Pfund und prächtigem Erscheinungsbild. 

Die restliche Nacht über blieben die Ruten stumm und am Morgen erwachten wir beim Klang französischer Stimmen. Als ich aus dem Bivvy spähte, sah ich, wie ein paar Jungs im Boot gerade vor uns über unseren Platz fuhren und sich dann dazu entschlossen, 200 Meter links von uns ihr Camp aufzuschlagen. Hierdurch würden sie uns mit ihren Schnüren definitiv die Fische abschneiden, also entschieden wir uns nach einer Schüssel Porridge und einem starken Kaffee, gefolgt von den Bildern des Fisches, zu packen und uns abermals auf den Weg zu machen.

Schön zum Campen – schön zum Blanken

Dem nächsten Gewässer, das wir anfuhren, sagte man zwar große Karpfen, aber auch viele Angler in der ohnehin nur kleinen Nachtangelzone nach. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie überrascht wir waren, als wir ankamen und kein einziger Karpfenangler in Sichtweite war! Es war Montagmorgen und wir vermuteten, dass die anderen zurück auf Arbeit gegangen waren – beschweren konnten wir uns keineswegs. Da wir durch die gegebenen Umstände nicht gegen Angeldruck arbeiten mussten und auch keine Eile hatten, geeignete Plätze zu finden, wollten wir zunächst auf dem nahegelegenen Campingplatz in Ruhe duschen. Voll neuer Energie setzten wir uns anschließend auf einen Felsen und genossen die Aussicht, natürlich nicht, ohne dabei nach sich zeigenden Fischen Ausschau zu halten. Zwei Stunden später hatten wir genau null Anzeichen von Karpfen gesehen, also sollte es vom Boot aus zu einer genaueren Inspektion gehen. 

Nach ziemlich ausgiebiger Suche hatten wir Kiesflecken, ein altes Flussbett und einige vielversprechende Vertiefungen im Schlamm gefunden, die so aussahen, als seien sie von fressenden Fischen gemacht worden. Nun machten wir uns daran, die Ruten zu legen, zwei davon sogar auf 500 Meter Distanz an einige gelbe Bojen, von denen ein Freund einmal gesagt hatte, sie würden regelmäßig Fische hervorbringen. Ohne große Zuversicht legten wir uns dann an diesem Abend auf die Liegen und genossen dennoch diesen traumhaften See mit seinem dunklen Himmel ohne Lichtverschmutzung. Die Milchstraße war erhellt von Milliarden von Sternen – ein perfekter Ort, um ein paar Nächte zu bleiben. 

Der Morgen brach nach einer ereignislosen Nacht an und im ersten Licht des Tages sahen wir, wie die Sonne den Nebel vom See brannte und wie dabei die Feuchtigkeit in der Luft im Sonnenaufgang auf zauberhafte Art in Lila-, Orange- und Gelbtöne getaucht wurde. Ein traumhafter Sonnenaufgang – aber einer ohne die Spur von einem Fisch. Da nichts los war, brach Claire auf dem Fahrrad zu einer Seeumrundung auf, um dabei nach Anzeichen zu spähen, mit denen wir weiterarbeiten konnten. Ich holte derweil einige Arbeit am Laptop nach. Auch der Nachmittag verstrich ergebnislos, abgesehen von einem Hechtangler, der eine meiner Schnüre eingesammelt hatte, nachdem er in Richtung meines Markers fischte (etwas, das an öffentlichen Gewässern übrigens sehr häufig vorkommt). Ursprünglich hatten wir vorgehabt, drei Nächte an diesem See zu verbringen. Aber nachdem es keinerlei Anzeichen von Fisch gegeben hatte und da die Nachtangelzone so klein war, verging uns die Lust, wertvolle Zeit in das Blanken zu investieren. 

Auf Maps wurden wir fündig und machten einen von Kiefern umstandenen See aus, der nicht weit entfernt war. Da es überdies noch einige gut befahrbare Straßen zu geben schien, die direkt ans Wasser führten, wirkte er geradezu ideal für unsere letzte Nacht. Die anschließende Suche im Internet ergab absolut nichts: kein einziges Fangfoto eines Karpfens, keine Fangmeldung, nichts. Aber trotz komplett fehlender Informationen wollten wir einen Versuch wagen und ihn uns näher anschauen. Der Umstand, dass der See auf dem Heimweg lag, spielte uns zusätzlich in die Karten, denn so mussten wir nicht einmal einen Umweg fahren. Noch morgens brachen wir also zu unserer rund eineinhalbstündigen Fahrt auf.

Farmfischen

Am Kopf des Stausees angekommen, sahen wir die sandigen und von Kiefern gesäumten Ufer. Mit den hier und da aus dem Wasser ragenden Baumstümpfen sah es aus wie ein kleines Stück Paradies – eine absolut pittoreske Umgebung für die letzte Nacht. Die Zeit für das Erkunden des Gewässers war gekommen. Wir nutzten Google Maps, um befahrbare Straßen zu finden. Schon bald stellte sich aber heraus, dass das, was wir vorab als befahrbar eingestuft hatten, allenfalls alte Ziehwege der Forstwirtschaft waren, die dank jahrelanger Vernachlässigung und Erosion durch das hangabwärts laufende Wasser längst tiefe Rinnen aufwiesen. Genau am Ende einer solchen nach unten führenden „Straße“ blieben wir dann auch stecken. Ich hatte von vorne herein schon gewusst, dass wir hier nicht hätten runter sollen. Aber ich war vom Wasser angezogen worden wie ein Kaninchen vom Scheinwerferlicht und so war ich blind und auf der Suche nach dem perfekten Spot den Hügel heruntergebrettert – ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie ich anschließend wieder hochkäme. Natürlich kam noch hinzu, dass der Angelplatz nicht so perfekt war, wie zunächst angenommen. Zu unserer Rechten ragte eine zerklüftete Felsformation aus dem Wasser, unsere Möglichkeiten waren hier also erheblich eingeschränkt. Wieder einmal hatte ich es auf die harte Tour lernen müssen:

Die Dinge sind in Wirklichkeit selten so, wie sie auf deinem Smartphone aussehen! 

Nach mehreren Versuchen und mit einem ziemlich lädierten Unterboden gelang es uns dann doch noch, den Van wieder ans obere Ende des Hügels zu prügeln. Erneut versuchten wir, einige andere Pfade zum Wasser hinunter zu navigieren – einige Male nur ganz knapp von der erneuten Katastrophe entfernt – aber zu guter Letzt fanden wir doch noch einen Weg, der ohne ein größeres Desaster zum See führte. Wir fuhren entlang des sandigen Ufers an den mittleren Seeteil, von wo aus wir den besten Überblick über den Hauptkörper hatten und wo uns zusätzlich eine ebene Fläche den perfekten Untergrund für unser Bivvy in der letzten Nacht bot. Wir befanden uns an der Spitze einer Landzunge, mit einer Bucht rechts von uns, dem Freiwasser vor uns und einer Steinformation, die sich zu unserer Linken in den See fortzog. Diese Steine sollten sich später als die Überreste einer Wand herausstellen, die zu einem Gebäude gehört hatte welches mittlerweile unter Wasser lag. So etwas ist an großen Stauseen sehr häufig anzutreffen und normalerweise findet man an genau solchen Plätzen auch Karpfen.

Diese Info im Hinterkopf, legten wir eine Rute neben die Wand, nachdem wir mit dem Markerblei eine saubere Stelle gefunden hatten. Die zweite Rute fand ihren Weg auf einen harten Lehmflecken einen Meter abseits des ehemaligen Gebäudes und die dritte wollten wir auf weichem Grund am Eingang der Bucht auf etwas ablegen, das wie die Terrasse des alten Farmgebäudes aussah. Rute Nummer vier fischten wir direkt in den Schlamm vor Unterwasserhindernisse am Ende der Bucht und die letzte Rute positionierten wir mit fünf Kilo Futter mitten im See, neben einem alten Flussbett im klebrigsten Schlamm, den man sich nur vorstellen kann. Jetzt kann man sich natürlich sagen, dass fünf Kilo Futter auf nur einem Spot und für eine Nacht zu viel sind – und ich muss ehrlich gestehen, dass ich das auch dachte. Aber man kann nie wissen, was über einer solchen Menge Futter passiert und da es sich um unsere letzte Nacht handelte, hatten wir ohnehin nichts zu verlieren. 

Was soll schon passieren

Der Nachmittag wich dem Abend und der Abend der Nacht. Weder hatten wir Karpfen, noch auch nur das Anzeichen eines Fisches gesehen. Der See lag bewegungslos und still da – nur der Gesang der Vögel im Wald hinter uns lag in der Luft. Wir hatten nicht herausfinden können, ob der See überhaupt Karpfen beheimatete, als wir auf unserem Telefon über ihn stolperten. Und auch sieben Stunden später wussten wir es noch nicht. Nur die Nacht konnte zeigen, was unter der Oberfläche dieses atemberaubenden und faszinierenden Gewässers verborgen lag. 

Um 23 Uhr frischte der Wind auf und steife Böen preschten geradewegs auf unser Ufer zu. Dunkle, vom Mond erhellte Wolken türmten sich am Firmament auf und die Stimmung war perfekt für einen Biss. Um kurz nach Mitternacht kam dann auch tatsächlich Leben in Claires R3 Bissanzeiger: Ein aggressiver Biss auf dem Spot beim Gebäude. Sie drillte den Karpfen im flachen Wasser und große Wellen schäumten um ihre Watstiefel. Der Fisch lieferte einen großartigen Kampf, aber schon rund fünf Minuten später hatte sie einen knapp 30-pfündigen Spiegler im Netz. Über den Wind hinweg rief sie mir überglücklich zu: „Es gibt hier also doch Karpfen!“

Wir hatten unsere Zeit also nicht verschwendet und Claires Fang war der beste Beweis. Die Umstände waren voll auf unserer Seite, wir sackten den Fisch in der windgeschützten Bucht und brachten ihre Rute erneut auf den Spot aus. Bis 4 Uhr in der Früh sollte es anschließend dauern, bis wir auf dem großen gefütterten Areal unseren nächsten Biss – einen Fallbiss –  verbuchen konnten. Diesmal war ich an der Reihe und wie schon am vorher befischten Gewässer, schwamm der Fisch schnurstracks auf mich zu. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob es sich hierbei um einen Karpfen handelte. Ich kurbelte, so schnell ich nur konnte, fühlte ich doch einen gewissen Widerstand. Schon bald konnte ich meine Schlagschnur im Licht der Kopflampe glitzern sehen und mit einem Schlag seiner Schwanzflosse erwachte der Fisch plötzlich zum Leben. „Es ist ein Karpfen!“, rief ich Claire zu und mit einem gewaltigen Schlag zog der Fisch durchs flache Wasser. Während er entlang der terrassenförmig abfallenden Uferkante schwamm, konnte ich meine 0,70er Schlagschnur an den Steinen derselben entlangschrammen spüren und er blieb tief unten, normalerweise ein gutes Anzeichen für einen besseren Fisch. Mit zittrigen Knien und pochendem Herzen drillte ich weiter, bis er das erste Mal die Oberfläche durchbrach – ein wahrhaftig guter Karpfen! Der Kampf zog sich noch weitere nervenaufreibende fünf Minuten hin, bis der Fisch endlich aufgab. Nun glitt er an der Oberfläche in Richtung meines Keschers, ein herrlich breiter und großer, dunkler 40-Pfünder. Gerade als ich den Kescher anheben wollte, zog er ein letztes Mal die Terrassenwand hinunter und „Ping!“ – er war ab!

Ich konnte einfach nicht fassen, was mir hier gerade zum zweiten Mal hintereinander passiert war. Ein großer Karpfen war nach einem Fallbiss den ganzen weiten Weg zu mir herangeschwommen, hatte mir einen massiven Kampf im flachen Wasser geliefert und war dann – auf dem Weg in den Kescher – ausgestiegen. Dies war eine ausgewachsene Pechsträhne und zu sagen ich war angepisst, wäre noch stark untertrieben. 

Allzu lange wollte ich dem Verlorenen aber nicht nachjammern (so schwer es mir auch fiel), also zog ich neue Schlagschnur auf, knotete ein frisches Rig an und fuhr abermals zu meinem Marker um die Falle wieder zu stellen. Mit nur einer Handvoll Futter über meinem Rig wollte ich mir die Chance auf einen weiteren schnellen Biss wahren. Auf dem Rückweg zum Platz dachte ich über den dunklen Spiegler nach, den ich soeben verloren hatte. Es fraß mich von innen heraus auf und ich betete, dass dies nicht die letzte Chance gewesen war, die wir bekommen sollten. 

Mit diesen Gedanken legte ich die Rute wieder ab, straffte die Schnur, hängte meinen Bobbin ein und legte mich zurück in meinen Schlafsack. Just in dem Moment als ich den Reißverschluss nach oben zog, kreischte einer meiner Bissanzeiger auf. Es war die Distanzrute, die ich eben erst abgelegt hatte. Schnell sprang ich daraufhin wieder in meine Watstiefel, sprintete zur Rute und als ich die Bremse schloss, bog sich meine Scope im Halbkreis – während der Fisch noch immer Schnur nahm. Ich war mir zu diesem Zeitpunkte nicht sicher, ob es in diesem See Welse gab, aber nach diesem erbarmungslosen Biss vermutete ich es stark. Da ich dennoch auf Nummer sicher gehen wollte, sprang ich gleich ins Boot um die Lücke zum Fisch zu schließen. Obwohl der Motor sich auf höchster Leistungsstufe dem Fisch entgegenarbeitete, nahm dieser noch immer Schnur. „Es muss ein Wels sein“, dachte ich mir, als ich mitsamt Boot an meinem Marker vorbeipowerte, noch immer nicht in der Lage, zum Fisch aufzuholen. Nach einiger Zeit jedoch war ich endlich über ihm und es fühlte sich gerade so an, als würde da ein eigentlich nicht zu bewegendes Objekt am Gewässergrund im Kreis schwimmen. 

30 Minuten später und über 100 Meter weiter von meinem Marker entfernt, hatte ich den Fisch noch immer nicht zu Gesicht bekommen, während die Sonne bereits hinter den Bäumen aufging. In der Zwischenzeit war ich felsenfest davon überzeugt, dass es sich hier um einen kapitalen Wels handeln musste und so beschloss ich mit schmerzenden Armen, den Fisch vom Grund zu lösen und nach oben zu pumpen. Ich schloss die Bremse und übte massiven Druck aus, das Handteil meiner Rute verlief fast parallel zur Spitze. Ich bog meine Scope bis ans Maximum und langsam, ganz langsam bewegte sich der Fisch in Richtung Oberfläche, nur um anschließend wieder nach unten zu ziehen und dort zu bleiben. So ging das weitere fünf Minuten bis es mir endlich gelang, den Fisch in die obere Wasserschicht zu manövrieren und als er das Boot umkreiste, konnte ich ihn das erste Mal sehen: Es war ein Karpfen von enormen Ausmaßen, eine dunkle Bestie mit unverschämt breitem Rücken! 

Ich begann plötzlich zu zittern, denn das Adrenalin schlug mit voller Wucht ein. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf: Hatte ich, da ich an einen Wels geglaubt hatte, zu hart gedrillt? Wie gut war der Hakensitz? Würde er ausschlitzen? Es half alles nichts, ich musste mich zusammenreißen und erneut fokussieren, um das hier zu Ende zu bringen.  

Der Fisch zeigte mittlerweile erste Anzeichen von Schwäche – kein Wunder nach dem ausdauernden Drill. Und dann endlich glitt er ohne große Umstände in mein Netz. „BIG CARP!“ schrie ich mit sich überschlagender Stimme. Dies ist bei uns mittlerweile schon fast Tradition geworden, immer dann, wenn einer von uns einen besonderen Fisch im Kescher hat. Und dies war in der Tat ein ganz besonderer Fisch.

Zurück am Ufer, bestaunten wir ehrfurchtsvoll die breiten Schultern des wilden Spieglers in meinem Kescher. Claire sah mich an und sagte mit verschmitztem Lächeln: „Gut gemacht, Samir. Den hast du dir verdient.“ Dann umarmten wir uns herzlich und teilten die Magie des besonderen gemeinsamen Momentes.

Der Karpfen wog etwas über 55 Pfund, hatte ein komplett intaktes Maul und nur ein paar Narben. Wir waren uns sicher, dass dies das erste Mal war, dass er einen Kescher von innen gesehen hatte. Vor dem Hintergrund des düsteren Himmels schossen wir Bilder und ich bekam das Grinsen einfach nicht mehr aus dem Gesicht. Es war einfach verrückt. Wir waren von Anfang bis Ende dieses Trips auf einer Achterbahn des Glücks unterwegs gewesen. Ein Höhepunkt hatte ein bisschen Pech mit sich gebracht und gleichsam immer ein Quäntchen Glück. Claire würde sagen, dass dieser Trip ein perfektes Beispiel für den Ausgleich des Yin&Yang im Universum war. Ich würde dagegen halten, dass es einfach nur ein verdammt guter Angeltrip war.

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